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From the magazine SJZ-RSJ 4/2024 | S. 153-153 The following page is 153

Nachruf auf Prof. Dr. Mark E. Villiger: Ein grosser Schweizer Völkerrechtler ist nicht mehr

Mark E. Villiger wurde das Völkerrecht in die Wiege gelegt. 1950 in Südafrika geboren, französischschweizerischer Doppelbürger, gestaltete sich sein ganzes Leben grenz- und Nationalitäten überschreitend. Schulen in Mosambik und Johannesburg folgte das Gymnasium Stella Matutina in Feldkirch (A), dessen Besuch ihn befähigte, 1971 die österreichische und die eidgenössische Maturitätsprüfung (mit Latein und Altgriechisch) zu absolvieren. Kein Wunder, dass er das Rechtsstudium an der Universität Zürich 1978 mit der (summa cum laude bestandenen) Doktorprüfung zum Thema «Auslandschweizer und die schweizerische internationale Gerichtsbarkeit» abschloss. Noch vor der Habilitation über «Völkergewohnheitsrecht und Verträge» an der Universität Zürich (1985), die ihn als Privatdozenten, ab 1992 als Titularprofessor, berechtigte, Völker- und Europarecht zu lehren, fand er 1983 die ihm auf den Leib geschnittene Wirkungsstätte: die damalige Europäische Kommission für Menschenrechte in Strassburg. Von der Pike auf, zunächst als juristischer Mitarbeiter, dann Referatsleiter mit Spezialaufgaben u.a. im Personalwesen in der Kanzlei des alten Gerichtshofes, endlich als Stellvertretender Kanzler der 3. Sektion des neuen Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), erwarb er sich einen immensen Wissens- und Erfahrungsschatz, bevor er 2006 zum Richter an diesem Gericht für das Fürstentum Liechtenstein gewählt wurde, wo er von 2012 bis zu seinem Rücktritt 2015 als Sektionspräsident amtete.

Mark E. Villiger, umfassend gebildet, sprachlich, kunstgeschichtlich, zu allen äusserst liebenswürdig, glücklicher Ehemann, stolzer Vater, passionierter Grandpapa – er ist für alle völlig unerwartet am 10. Dezember verstorben. Ausserhalb der Juristenzunft kennt man hierzulande seinen Namen kaum; zu Unrecht. Denn er hat nicht nur eine glänzende Laufbahn am EGMR und an der Universität Zürich zurückgelegt. Er hat vielmehr einerseits durch seine Publikationen – worunter Schwergewichte wie die Handbücher über die Europäische Konvention der Menschenrechte (3 Auflagen, zuletzt 2020) und die Neutralität (2023) –, anderseits durch seine Legion gewordenen Vortrags-, Schulungs- und Beratungstätigkeiten auf allen Kontinenten einen bis zuletzt nie nachlassenden höchst engagierten Dienst am Völkerrecht und insbesondere am Schutz der Menschenrechte geleistet, der seinesgleichen sucht und noch lange nachwirken wird.

Prof. Dr. iur. Ulrich Meyer, Fürsprecher,
Bundesrichter 1987–2020,
Bundesgerichtspräsident 2017–2020