Direkt zum Inhalt

Welche Fragen Covid-19 im Mietrecht aufwirft und die Lösungsansätze

Prof. Dr. iur. Peter Higi, Titularprofessor für Schweizerisches Zivilrecht, Universität Fribourg

 

Geschlossen
iStock

1. Überblick

In den vergangenen Wochen wurden im Zusammenhang mit den behördlichen Anordnungen, welche die Ausbreitung der Corona-Pandemie einschränken sollen, wiederholt mehrere Fragen aufgeworfen, die sich auch um die Miete drehen. Ihnen allen ist im Wesentlichen dreierlei gemeinsam:

  • Erstens werden sie vor allem im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Folgen gestellt, die Mieter wegen der behördlichen Massnahmen treffen können. Insoweit handelt es sich bei ihnen um keine Rechtsfragen.
  • Zweitens geht es nie um Fragestellungen, auf die das Mietrecht des OR gar keine Antwort geben kann. So geht es etwa um die Frage, ob behördlichen Einschränkungen oder gar Verbote bestimmter Berufstätigkeiten eine Herabsetzung des Mietzinses wegen mangelhafter Mietsache erlaubt – dazu ist etwa der Art. 259d OR zu konsultieren. Oder es werden Fragen im Zusammenhang mit dem Zügeln gestellt: Was, wenn eine Mietsache nicht übernommen bzw. nicht zurückgegeben wird? Dazu sind z.B. die Art. 258, 267–267a und Art. 97 ff. OR zu Rate zu ziehen. Oder es werden Fragen mit Blick auf die Folgen des Zahlungsverzugs aufgegriffen, wie sie der Art. 257d OR regelt.
  • Und drittens geht es bei allen Fragen weder um das sog. Missbrauchsrecht, das im Wesentlichen in den Art. 253b, 254 und 269–270e OR geregelt ist (mit Ausführungen in der VMWG), noch um den sog. Kündigungsschutz i.S. der Art. 271 ff. OR.

Zur Milderung der wirtschaftlichen Folgen im Zusammenhang mit Zahlungsverzug des Mieters hat sich der Bundesrat bekanntlich bereits konkret geäussert. Aus der Sicht des Zivilrechtlers gibt es dazu nichts Wesentliches zu bemerken. Von den übrigen Themenkomplexen sticht derjenige zur Herabsetzung des Mietzinses besonders hervor, weshalb hier darauf grundsätzlich etwas näher eingegangen wird.

2. Zur Frage der Herabsetzung im Besonderen

2.1. Eingrenzung der Problematik – massgebliche Bestimmungen

Es geht um behördliche (Not-)Massnahmen, die den Betrieb von bestimmten Geschäften bzw. die Ausübung von Gewerben vorübergehend verbieten oder erheblich einschränken (Distanzwahrung). Diese hoheitlichen Massnahmen betreffen alle Geschäfte bzw. Gewerbe, bei denen es sachgemäss zu – räumlich gesehen – engen Beziehungen bzw. Kontakten zwischen Personen kommt. Mietvertragsrechtliche Fragestellungen werfen diese Massnahmen so weit auf, wie ein Geschäft (auch) mit fremden, nämlich gemieteten Mitteln geführt wird. Im Vordergrund stehen dabei die Geschäftsräume als gemietete Betriebsmittel.

Massgebliche Bestimmungen im Zusammenhang mit der Herabsetzung im hier interessierenden Kontext sind vor allem die Art. 259a ff. OR, die sich mit Mängeln während der Mietdauer befassen (soweit mir erinnerlich, gelten diese Normen uneingeschränkt auch dort, wo allgemeinverbindliche Rahmenmietverträge bestehen). Die Herabsetzung ist in Art. 259d OR geregelt und bezweckt die Anpassung des Mietzinses bei mangelhafter Leistung des Vermieters – das vertragliche Austauschverhältnis soll angepasst werden. Sie setzt voraus, dass die Miete bereits angetreten wurde. Nur dieser Aspekt der Geschäftsraummiete wird hie behandelt.

2.2. Mangel der Mietsache

Mit dem Abschluss eines Mietvertrages gehen die Parteien ein Dauerschuldverhältnis ein. Der Vermieter verspricht dem Mieter Räumlichkeiten zu überlassen, in denen bzw. mit denen der Mieter seinem Geschäft nachgehen kann (z.B. Coiffeursalon, Studio für Podologie, Restaurant) – dieses Geschäft ist nicht Bestandteil des Mietvertrages, sondern besteht unabhängig von diesem als Teil der Rechtssphäre des Mieters. Die vom Vermieter überlassenen Räumlichkeiten müssen sachlich zu dem taugen, was als Gebrauchszweck von den Parteien bestimmt wurde; sie sind vom Vermieter während der Vertragsdauer entsprechend zu unterhalten. Im Gegenzug verspricht der Mieter, ein von den Parteien vereinbartes Entgelt zu bezahlen.

Der Mieter hat in der Regel keine Pflicht, die Sache zu gebrauchen, ausser es sei eine Gebrauchspflicht vereinbart (darauf wird gesondert eingegangen). Kann nun z.B. eine Podologin oder ein Coiffeur wegen behördlicher Anordnungen keine Kunden mehr empfangen, liegt das offenkundig nicht am Mietlokal bzw. dessen Zustand, sondern an der vom Mieter ausgeübten Geschäftstätigkeit, die zurzeit nicht erlaubt oder (erheblich) eingeschränkt ist. Gleiches gilt beim behördlichen Verbot, ein Restaurant geöffnet zu halten. Es fehlt leicht erkennbar an einer Grundlage für die Herabsetzung des Mietzinses wegen eines Mangels der Sache.

2.3. Störung im Gebrauch

Durch die behördlichen Massnahmen wird der Betrieb des Geschäftes bzw. Gewerbes des Mieters beeinträchtigt oder verunmöglicht. Ein Aspekt dieser Beeinträchtigung ist, dass der Mieter von seinem Betriebsmittel Mietlokal nicht den Gebrauch machen kann, den er eigentlich will, und er erleidet Vermögenseinbussen, einen Schaden. Die Ursache dafür liegt an der behördlichen Massnahme, die sich gegen die Art des Gewerbes bzw. des Geschäfts richtet, das der Mieter führt, dessen Betrieb nicht Gegenstand der mietvertraglichen Leistungsversprechen des Vermieters ist. Das Gleichgewicht der mietvertraglichen Leistungspflichten, welches mit der Herabsetzung des Mietzinses angepasst werden soll, kann daher weder gestört sein noch ausgeglichen werden.

Ausgeschlossen ist ein Ausgleich von Schaden, den der Mieter aufgrund der betrieblichen Einschränkungen erleidet. Es entsteht weder ein Ersatzanspruch wegen Mangelhaftigkeit der Mietsache (Art. 259e OR) noch einer, der dem Mieter wegen der behinderten Führung seines Betriebs bzw. Gewerbes entsteht. Denn in beiden Fällen ist ein vertragswidriges Verhalten des Vermieters vorausgesetzt, sodas ihm das zum Verschulden gereicht.

2.4. Gebrauchspflicht

Ist der Mieter vertraglich ausdrücklich verpflichtet, in den Mietlokalitäten sein Geschäft zweckgemäss zu betreiben und verunmöglichen ihm das die behördlichen Massnahmen, weil sein Geschäft nicht oder nur eingeschränkt betrieben werden darf, so liegt in Bezug auf die Gebrauchspflicht eine objektive unverschuldete Unmöglichkeit vor. Der Mieter ist von seiner Gebrauchspflicht befreit (sog. Teilunmöglichkeit), solange das Verbot besteht. Im Übrigen gilt das vorhin Ausgeführte.

 

3. Schlussbemerkung

In schwierigen Zeiten wie diesen, in denen viele Geschäfte in existentielle Nöte geraten, sind ausserrechtliche Werte wichtig: gegenseitiges Verständnis und Hilfsbereitschaft. Es ist sehr bedauerlich, wenn das vergessen zu gehen droht.